Wie sich am Begriff der „Textkritik“ unschwer erkennen lässt, liegen die Wurzeln der Editionswissenschaft im Bereich der Philologie. Gemeint ist hiermit nicht nur eine Erschließung textueller (zumeist handschriftlicher) Überlieferung durch Abgleich und Kommentar, sondern das Kriterium der Notation an und für sich, das editionswissenschaftlichen Praktiken in verschiedenen Disziplinen zugrunde liegt.
+Durch die Entstehung digitaler Editionen verändern sich die Voraussetzungen für die Reproduktion und Repräsentation von Kulturerbe. Dokumente, Werke, Zeugen und Korpora bestehen aus Sinneinheiten, die vielfältiger sind als das, was traditionell in Editionen abgebildet wird. Insbesondere mit Blick auf multimediale Werkkomplexe stellt sich die Frage: Entziehen sich diese weiterhin dem editorischen Zugriff? Oder ließe sich Editionstheorie umdenken, um Gegenstand und Ebenen der Betrachtung durch ein anderes Verständnis von Informationsstrukturen zu erweitern?
+Der Vortrag lädt ein, aktuelle Entwicklungen vor dem Hintergrund einer tief verankerten Prinzipientreue zu hinterfragen und das Desiderat der Rekonzeptualisierung in den Mittelpunkt zu stellen, dessen theoretische Anbindung und Einbettung digitalen Editionsbemühungen einen Ordnungsrahmen verleiht. Hierzu werden zunächst Überlegungen priorisiert, die anhand einer Vielzahl an Beispielen aus dem Bereich Film und Musik – von Komponisten wie Korngold über Musikfilme wie King of Jazz (1930) – sowohl die schiere Masse an editionsbedürftigem Material als auch konkrete Herausforderungen verschiedener Phänomene und Formen an multimedialer Überlieferungsvarianz herausarbeiten werden. Anschließend wird es um Modellierungsebenen gehen, die es zu bedenken gilt und die sich (möglicherweise) ungeachtet des Editionsgegenstandes in einem Superstrukturmodell bündeln lassen; zumindest aber den Weg in Richtung einer übergreifenden Editionstheorie weisen können.
Über die Referentin: https://cceh.uni-koeln.de/personen/tessa-gengnagel/